Ich beginne mit dem Ende dieses inhaltsreichen Buches.
Alt-Bürgermeister Franz Krestan hat dort Ulfhild Krausl als „Drosendorfer Schatztruhe" bezeichnet. Der schöne Vergleich von historischer Schatztruhe und dem Schatz, ein wandelndes Ortsgedächtnis zu haben, hinkt an einem Punkt:
Die bedeutende Truhe wird heute, von Clemens Pultar restauriert, im Rathaus fast versteckt bewahrt. Verschlossen war sie immer. Ulfhild Krausl dagegen macht sich öffentlich und teilt ihr Wissen in ihren klaren Texten. Ihre Präsenz in allem, was mit Kultur und Heimat, Geschichte und deren Vermittlung gilt, macht sie zum Tresor lokalen Wissens im Netzwerk lokaler und regionaler, auch verwandtschaftlicher Verbindungen. Wohl dem Ort und seinen Menschen, die solch eine Schatztruhe als wandelndes und zugängliches Gedächtnis „live" in ihrer Stadt wissen.
Was in diesem vielfältigen Buch zwischen zwei Deckel gebunden ist, wirft auch einen Blick auf die Erfahrungen eines Lebens. Erinnerungen an Bräuche, Sachen, Dinge und Geschichten verbinden Menschen und ihre Alltage. Auch das macht „Heimat" aus. An die knüpfen sich gemeinsame Erinnerungen, über die sich Menschen austauschen. Man kann in den kurzen Texten auch Einsichten als „Summe" eines Lebens und Erfahrungen gewandelter Maßstäben finden, heute redet man von „Werten". Sie haben sich auf vielen Feldern öffentlicher, gemeindlicher und auch gemeinschaftlicher Wirksamkeit ausgebildet. Und sie ehren die Autorin.
Jüngst hat Ulfhild Krausl den Ruhm Drosendorfs gemehrt. Sie hatte die Geschichte des Heiligen Grabes in der Stadtkirche St. Martin wissenschaftlich untersucht und archivalisch belegt: Aus farbigen Glasstücken auf Pappe montierte Objekte wurden von einer mährischen Firma per Katalog im Versandhandel angeboten. Der Bestand heute meist nicht mehr sichtbarer, verräumter oder verschollener Objekte in katholischen Kirchen in Tschechien, in Österreich und Bayern erinnert an eine Welle von politisch begründeten Missionierungen zum Ende des 19. Jahrhunderts: Medien und Einbrüche der Moderne. In der großen Ausstellung im Dommuseum St. Pölten „Sakraler Jugendstil" (1923) war das Hl. Grab aus Drosendorf dominant inszeniert. Der erfahrene Restaurator und seine Frau hatten es zerlegt, also auseinander gebaut, jedes Stück Glas, gereinigt, viele Glastücke wieder festgenäht und zusammengesetzt. Die unauffällige Existenz ist zu Ende. Heute präsentiert sich das Hl. Grab am alten Ort in Drosendorf in neuer, heller Sichtbarkeit.
Kultur sind nicht nur Denkmale als Kunstwerke. Kultur zielt auf das, was Menschen selber mit sich machen. Auch ein lokaler Kulturstil, der sich in einer Gemeinde entwickelt, bezieht sich auf den Umgang der Menschen miteinander und auf die Möglichkeiten, Gemeinsamkeit zu entwickeln, sich zu treffen. Also Orte und Anlässe, bei denen dies allen möglich ist. Das können Vereine sein, auch informelle Gruppen, in denen ein eigenes Leben mit Regeln, oft mit „Bräuchen" entsteht. Fehlt da etwas, fehlen auch Geschichten, Gemeinsames, werden Orte ärmer.
In einer Zeit, in der gesellschaftlicher Zusammenhalt und demokratische Gedanken zunehmend unter Druck geraten, gewinnt das Nachdenken über eine soziale und kulturelle Infrastruktur an Bedeutung. Beispiele über Orte und Arten der Begegnung - sowohl temporär als auch dauerhaft - können als soziale Infrastruktur wirken und erzählen, wie wir die demokratischen Grundlagen unserer Gesellschaft fördern und schützen können.
Was soll man dem Buch wünschen? Geschichten und Geschichte, Erinnerungen und Bräuche sind nicht nur heute lesenswert. Sie könnten wie eine Flaschenpost aus der Vergangenheit in die Zukunft wirken. Eine Flaschenpost wird ins Wasser geworfen. Wenn es gut geht, schwimmt sie im „Strom der Zeit" und wird von ihm ans Land gespült und als eine Botschaft gelesen. Auf Papier gedruckt, zwischen zwei Deckel gepackt, anfassbar, haltbar, jedermann zugänglich, könnte sie als sozial-kultureller Stolperstein zum vergleichenden Nachdenken anregen.